eco: Bundesregierung im digitalen Krebsgang

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eco: Bundesregierung im digitalen Krebsgang

Beitragvon News » 28.12.2014 16:44

In einer Pressemitteilung vom 19.12.2014 reflektiert der eco die Netzpolitik der Bundesregierung wie folgt:

eco Jahresrückblick Netzpolitik: Bundesregierung im digitalen Krebsgang

- Digitale Agenda: viele Ankündigungen, wenige Entscheidungen
- Europäische Netzpolitik: Bundesregierung fixiert auf nationale Lösungen
- Ausblick: Datenschutz und Vertrauen sind größte Baustellen

Weihnachten steht vor der Tür, und fast auf den Tag genau ein Jahr Große Koalition liegen hinter uns. Was hat sich in diesem Jahr im Bereich Internet- und Netzpolitik getan? eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e. V. zieht Bilanz und wirft einen Blick auf die wichtigsten netzpolitischen Entwicklungen und Entscheidungen der vergangenen zwölf Monate. Das Fazit von Oliver Süme, eco Vorstand Politik & Recht: „Die Bundesregierung hat zwar die Bedeutung der Internet- und Netzpolitik erkannt nutzt jedoch ihren Gestaltungsspielraum nicht. Konkrete Vorhaben und deren Umsetzung werden nur zögerlich angegangen. Statt die Entscheidungsmacht der großen Koalition für wegweisende Weichenstellungen zu nutzen, hangelt sie sich im Krebsgang – zwei Schritte vor, einen zurück – von einer Baustelle zur nächsten. Deutschland befindet sich nach wie vor in einer digitalen Warteschleife.“

Digitale Agenda: viele Ankündigungen, wenige Entscheidungen

Zwar hat die Bundesregierung nach ihrem schwierigen – vom Gerangel um Zuständigkeiten bestimmten – Start im August mit der Digitalen Agenda erstmals eine umfassende Zusammenfassung relevanter Handlungsfelder und Vorhaben für die Internet- und Netzpolitik vorgelegt. Jedoch fehlt zu einer effektiven internet- und netzpolitischen Strategie noch ein konkreter Aktions- und Umsetzungsplan, mit dem die Bundesregierung die Vorhaben angehen will. Hier mangelt es an der entsprechenden Initiative. „Es fehlt an politischem Gestaltungswillen. Zahlreiche in der Digitalen Agenda angekündigten Ziele und Reformen sind im Grundsatz richtig und begrüßenswert, wurden aber bisher vom Gesetzgeber noch gar nicht in Angriff genommen oder bleiben in der Ressortabstimmung hängen“, sagt Oliver Süme. „Wünschenswert wäre, dass sich die Koalitionspartner frühzeitiger über zentrale Entscheidungen verständigen, dann könnten betroffene Unternehmen auch besser planen.“

Beispiele wie der inzwischen innerhalb der Bundesregierung hoffentlich dauerhaft beigelegte Streit um die Einführung der Vorratsdatenspeicherung oder die nach langen Verhandlungen gerade erst erzielte Einigung beim IT-Sicherheitsgesetz sind symptomatisch für die von Uneinigkeit geprägte Internet- und Netzpolitik der Bundesregierung. So warten wir nach wie vor auf den angekündigten Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber. Die weltweit einmalige Regelung der sogenannten Störerhaftung führt dazu, dass in Deutschland große Mobilitätspotenziale bislang ungenutzt bleiben: eco Erhebungen haben ergeben, dass von rund einer Million öffentlicher Hotspots in Deutschland lediglich 15.000 offen und frei zugänglich sind. Bislang gibt es nur von der Opposition einen konkreten Gesetzesvorschlag zur Verbesserung der Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber und zur Abschaffung der Störerhaftung, der im November im Bundestag debattiert wurde. Die zwischenzeitlich auch in vielen Bundesländern wie zum Beispiel Hamburg und Berlin gestarteten Initiativen, die für

eine größere Verbreitung von WLAN und dessen Zugänglichkeit im öffentlichen Raum sorgen sollen, sind ein deutliche Anzeichen für den gestiegenen Bedarf. Es bleibt zu hoffen, dass diese Projekte und Initiativen nicht ins Stocken geraten oder durch eine unausgewogene gesetzliche Regelung konterkariert werden.

Ein ähnliches Bild ergibt sich für die im Koalitionsvertrag angekündigte Evaluierung des umstrittenen Leistungsschutzrechts. Auch hier haben die Oppositionsfraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und DIE LINKE Anfang Dezember ein entsprechendes Aufhebungsgesetz für diese investitions- und innovationshemmenden Regelung gefordert. Ein klares Signal seitens der Bundesregierung, diese verfassungsrechtlich bedenkliche Regelung neu zu bewerten, steht bislang aus.

„Wir beobachten bei der Bundesregierung die Tendenz, grundlegende Entscheidungen den Gerichten zu überlassen – zum Beispiel das BGH-Urteil zur Anonymität im Netz oder aktuell der Streit um das Leistungsschutzrecht“, sagt Oliver Süme „Man wartet ab und zwischenzeitlich werden Fakten durch entsprechende Rechtsprechung geschaffen. Auch dies ist Ausdruck eines fehlenden oder zögerlichen politischen Gestaltungswillen der Bundesregierung. Für die betroffenen Nutzer und Unternehmen bedeutet das Planungs- und Rechtsunsicherheit.“

Auch zum Thema Netzneutralität schwieg sich die Bundesregierung lange aus. Hier ist inzwischen überraschend und kurz vor Jahresende Bewegung in die Diskussion gekommen. Im Dezember kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel ein abgestimmtes Konzept der Bundesregierung zur Netzneutralität an, das inzwischen auch der Europäischen Kommission vorgelegt wurde. eco befürwortet den Vorschlag der Bundesregierung als möglichen Kompromiss zur Netzneutralität, da er den seit langem geforderten rechtlichen Rahmen für qualitätsgesicherte IP-Dienste liefert, ohne andere Dienste und Anwendungen im offenen Internet zu diskriminieren. So ist sowohl der Transparenz als auch dem Wettbewerb gedient. Wie die Diskussion zur sogenannten Netzneutralität auf europäischer Ebene weitergeht, wird im neuen Jahr spannend werden.

Beim Thema Internet Governance besteht in 2015 die Chance für die Bundesregierung auf internationaler Ebene eine Führungsrolle zu übernehmen. Beispielsweise im Rahmen der Neuorganisation der Internet-Verwaltung. Die US-Regierung hat Anfang des Jahres angekündigt, ihre Aufsichtsfunktion über die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) aufgeben zu wollen. Damit hat die Frage der Ausgestaltung und Neuorganisation der IANA zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die IANA ist unter anderem für die Vergabe und Koordinierung zentraler Internetressourcen wie Nummern und Namen und IP-Adressen sowie des Domainsystems zuständig.

Als positives Signal versteht die Internetbranche die erstmalige Einsetzung eines Ausschusses für Internet- und Netzpolitik im Februar. Der Ausschuss Digitale Agenda ist zwar nur mitberatend, dennoch hat die Internet- und Netzpolitik damit eine Aufwertung erfahren. Nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten hat der Ausschuss Digitale Agenda seine thematischen und inhaltlichen Schwerpunkte gefunden. Im Verlauf des Jahres haben sowohl der Ausschuss Digitale Agenda als auch seine Mitglieder an Bedeutung gewonnen und werden zunehmend als Akteure im politischen Raum für internet- und netzpolitische Themen wahrgenommen.

Europäische Netzpolitik: Bundesregierung fixiert auf nationale Lösungen

Das Internet kennt keine Landesgrenzen, dem entsprechend verlangen viele netzpolitische Fragestellungen auch internationale Lösungen. Die Internetwirtschaft sieht daher mit Sorge, dass die Bundesregierung nach wie vor zu nationalen Alleingängen tendiert, anstatt sich zumindest auf europäischer Ebene für die Etablierung gemeinsamer Standards und Regelungsrahmen einzusetzen. Der neue deutsche Internetkommissar Günther Oettinger könnte der europäischen Netzpolitik neuen Aufwind geben.

eco bestätigt Oettinger insbesondere in seiner Haltung, in den Bereichen Datenschutz und Datensicherheit auf europäische Regelungen und gemeinsame Standards zu setzen. Der Verband fordert in diesem Zusammenhang besonders die Einbettung des geplanten deutschen IT-Sicherheitsgesetzes in die auf europäischer Ebene geplante NIS-Richtlinie. „Ein nationales „Vorpreschen“ ist aus unserer Sicht weder in Deutschland noch in anderen Mitgliedstaaten zielführend. Damit droht ein Flickenteppich aus nationalen Regelungen, der Unternehmen schadet und wenig zur Verbesserung der allgemeinen IT-Sicherheit in Europa beiträgt“, sagt Oliver Süme.

Positiv bewertet eco die Initiative der Bundesregierung für eine zügige Einigung bei der Datenschutz-Grundverordnung. Ein gemeinsames europäisches Datenschutzrecht kann ein Standortvorteil für die deutsche und europäische Internetwirtschaft darstellen, wenn ein gerechter, praxistauglicher und zukunftsfähiger Ausgleich zwischen Informations- und Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsschutz und wirtschaftlicher Datenverarbeitung gefunden wird.

Ausblick: Datenschutz und Vertrauen ins Internet sind größte Baustellen

Neben den oben erwähnten dringend erwarteten politischen Entscheidungen zur WLAN-Störerhaftung und zum Leistungsschutzrecht werden die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz auch in 2015 ganz oben auf der netzpolitischen Agenda in Deutschland und auf europäischer Ebene stehen.

In der Europäischen Union wird es im kommenden Jahr vor allem um die konsequente Fortsetzung der Idee eines Regulierungsrahmens für einen gemeinsamen harmonisierten digitalen Binnenmarkt gehen, der den Fokus auf Marktvielfalt und faire Wettbewerbsbedingungen setzen sollte. In diesem Rahmen wird auch das Thema Netzneutralität zu regeln sein. Hier wird sich die Bundesregierung mit ihrem Konzeptvorschlag einbringen und hoffentlich durchsetzen. Außerdem hofft die deutsche Internetwirtschaft auf eine zügige Verabschiedung einer Datenschutzgrundverordnung, die ein einheitliches Datenschutzniveau für den gesamten Bereich der Datenverarbeitung in Europa schafft.

Bei der IT-Sicherheit wird im kommenden Jahr das beginnende parlamentarische Verfahren und die Einbeziehung des Bundestages sowie den Verlauf des europäischen Notifizierungsverfahren im Fokus stehen. „Wir hoffen auf eine inhaltlichen Einbettung und Verzahnung mit der europäischen NIS-Richtlinie und einen stärkeren Fokus auf die kritischen Infrastrukturen und deren Betreiber, die ebenfalls einen Beitrag zur Erhöhung der IT-Sicherheit leisten müssen“, so Süme.

Auch die Diskussion um die Auswirkungen und Folgen aus dem EuGH-Suchmaschinenurteil, das ein sogenanntes „Recht auf Vergessen im Internet“ begründet, wird weitergehen. „Auf europäischer Ebene wird diese wichtige Diskussion um die Abwägung zwischen Datenschutz und Meinungs- und Informationsfreiheit deutlich lebhafter geführt als in Deutschland“, sagt Süme.
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