Breitband für Alle
Sehr geehrte Frau Bellmann,
vielleicht erinnern Sie sich noch an unser Zusammentreffen am 28. Mai 2008, als ich mit einigen Freunden der Initiative gegen digitale Spaltung -geteilt.de- Ihre Fraktion besuchte.
Damals hatten wir vereinbart, in Fragen der Breitbandversorgung weiter in Verbindung zu bleiben. Ich halte es für an der Zeit, diese Absprache mit Leben zu erfüllen. Zunächst möchte ich Sie auf einige Schwerpunkte unserer Arbeit der letzten Monate aufmerksam machen. Wir haben zu den Themen „Universaldienst“ und „digitale Dividende“ Positionspapiere erarbeitet, die ich Ihnen anbei übersende. In den Prozess der Einbeziehung der Breitbandversorgung in konjunkturförderliche Maßnahmen haben wir ebenfalls frühzeitig Position bezogen. Ihr Engagement als sächsische Politikerin in dieser Sache freut mich besonders. Ich erfuhr davon auch aus Ihrem Schreiben an Mario H. aus Kleinvoigtsberg, das mir vorliegt.
Gestatten Sie mir, dass ich auf einige Passagen Ihres Briefes eingehe und meine - auf langfristiger intensiver Beschäftigung mit der Materie beruhende - Meinung äußere.
Funkbasierte Breitbandzugänge sind selbstverständlich keine „reine Notlösung“. Das beweist nicht zuletzt das Angebot der PHILIS Informationssystemtechnik, die in Ihren Wahlkreis einige Netze betreibt. Allerdings sind diese Lösungen auch keine Allheilmittel. Ihr Einsatz ist nicht überall möglich. Technische Einschränkungen, wie erforderliche Sichtverbindung zum Sender, müssen beachtet werden und Bandbreiten werden nicht garantiert. Letztlich kann schließlich nur die Bandbreite verteilt werden, die in der Relaisstation anliegt. Mit steigender Nutzerzahl sinkt die für den Einzelnen verfügbare Bandbreite. Die AGB des Unternehmens weisen darauf ausdrücklich hin. Ähnliches gilt auch für die Angebote der Mobilfunkunternehmen. UMTS und der von Ihnen erwähnte Standard HSDPA wurden, wie e-Plus-Chef Dirks unlängst bestätigte, nie als DSL-Ersatz aufgebaut. Vielmehr geht es um die Bereitstellung mobiler Internetdienste. Dem ist die Kapazität des Angebots angepasst. Um dem Problem der Überbuchung zu begegnen, sehen die AGB aller HSDPA-Anbieter Drosselungen beim Überschreiten bestimmter Volumina vor. Auf das von Ihnen ebenfalls ins Gespräch gebrachte Satellitenangebot möchte ich nicht näher eingehen. In einschlägigen Foren werden Sie unzählige negative Erfahrungsberichte vorfinden. Die Kluft zwischen Anspruch, Werbung und Wirklichkeit ist wohl bei keinem anderen Internetzugang so groß.
Freilich werden neue Marktangebote immer zunächst dort angeboten werden, wo sie einen schnellen ROI versprechen. Daran kann in einer Marktwirtschaft niemand etwas auszusetzen haben. Allerdings muss gewährleistet werden, dass nicht einzelne Menschengruppen auf Dauer von diesem technischen Fortschritt ausgeschlossen werden. Wenn der Markt dies nicht sicherstellt, muss der Staat handeln.
Damit komme ich zu meinem „Lieblingsthema“, dem Universaldienst. Ich glaube manchmal, der Terminus ist mittlerweile ideologisch besetzt. Alle wollen „Breitband für Alle“. Aber ist der Universaldienst nicht die konsequente Umsetzung dieses politischen Willens? Oder umgekehrt: Wenn man „Breitband für Alle“ will, warum kann man es dann nicht gesetzlich normieren? Wenn wir uns also auf einen anderen Begriff festlegen möchten, der das Gleiche meint, soll es mir Recht sein. Wichtig ist mir, dass in der Frage, ob Breitband zur Grundversorgung zu zählen ist, Einigkeit besteht. Das scheint mir so zu sein.
Im Übrigen könnte die Einführung des Universaldienstes sehr schnell eine Lösung des Problems bieten, vermutlich sogar die schnellste. Artikel 32 der Universaldienstrichtlinie räumt den Mitgliedsländern ausdrücklich das Recht ein, weitere Dienste dem Universaldienst zuzurechnen. Auf dieser Grundlage basieren momentan Beschlüsse aus Finnland und Frankreich. Richtig ist, dass in diesem Fall ein Umlageverfahren nicht statthaft wäre. Die Kosten müsste der Staat tragen. Doch gerade das tut er ja im Moment mit der Verwendung von Steuergeldern zur Stützung der Konjunktur. Der größte Vorteil einer Universaldiensteinführung wäre die sofort eröffnete Möglichkeit, den Markt durch die Bundesnetzagentur beobachten zu lassen. Der ständig beklagte Umstand, dass niemand richtig wüsste, wo denn die „weißen Flecken“ sind, würde sich kurzfristig auflösen. Danach könnte eine zielgerichtete Versorgung (technologie- und anbieterneutral) für diese Gebiete auf Ausschreibungsbasis erfolgen. Man müsste nur sicherstellen, dass einige Mindestparameter eingehalten werden. Diese wären nach dem Stand der Technik eine Mindestbandbreite von einem Megabit pro Sekunde und der Verzicht auf Begrenzungen bei Nutzungszeit oder -volumen. Sie haben Recht. Übertragungsraten, die den heutigen Anforderungen nicht genügen, muss man wirklich nicht als Universaldienst festschreiben. Aber dazu zwingt einen ja niemand.
Zur „digitalen Dividende“ haben wir ein ausführliches Positionspapier geschrieben. Auch wir sehen die Potenziale dieser Frequenzen. Wir sehen aber auch das Begehren der Mobilfunkunternehmen, die in der Anwendung von UHF-Frequenzen vor allem Möglichkeiten sehen, ihre Kosten zu senken. Bis zu einem Drittel soll sich die Dichte der Sendeanlagen reduzieren lassen. Hierin sollte wohl das hauptsächliche Interesse der Unternehmen liegen. Es wäre Aufgabe der Politik, hier Rahmenbedingungen zu setzen. Bevor eine einzige Frequenz in Ballungsräumen freigegeben wird, müssen die ländlichen Räume versorgt sein. Die Unternehmen müssen ihre Versprechen einhalten, was zu überwachen ist. Aber die Diskussion ist ja gerade erst angelaufen. Selbst optimistische Schätzungen gehen nicht vor 2011 von einer flächendeckenden Versorgung aus. In dieser Zeit könnte auf europäischer Ebene längst der Universaldienst eingeführt und in nationales Recht umgesetzt sein. Zudem ist noch gar nicht geklärt, welche Bandbreiten für die Nutzer im ländlichen Raum tatsächlich verfügbar wären. Wenn die Radien der Funkzellen 10 km betragen und HSDPA zum Einsatz kommt, dürfte vor allem hier in unserem dicht besiedelten Raum nicht viel für den Einzelnen heraus kommen. Verstehen Sie bitte auch, dass den Betroffenen schon einige Male Technologien als endgültige Lösung des Problems versprochen wurden. Powerline und Wimax stehen für solche Luftschlösser. Daher herrscht wohl begründet einige Skepsis zur „digitalen Dividende“ vor.
Gestatten Sie mir noch ein paar Worte zur Situation in Kleinvoigtsberg, die mir symptomatisch für viele kleine „vergessene“ Orte und Ortsteile zu sein scheint. Der Bürgermeister verfügt offenbar nicht über das erforderliche Problembewusstsein oder die Kommune ist finanziell schlicht überfordert. Unternehmen sehen keine Aussicht auf schnellen Gewinn. Die Nachfrage ist zudem vermutlich auch nicht hoch genug. Was haben Menschen, wie Herr H. so für Chancen, am technischen Fortschritt teilzunehmen? Warum werden ihre Kinder gegenüber Gleichaltrigen benachteiligt? Bleibt ihnen keine Alternative, als letztlich wegzuziehen? Der Hinweis auf vielfältige technische Möglichkeiten ist sicher genauso wenig hilfreich wie die allgegenwärtige Werbung für DSL, die von Betroffenen wie Hohn empfunden wird. Es kann doch auch nicht sein, dass Menschen erst selbst aktiv werden müssen (so löblich dies ist), um zu erhalten, was für den Großteil der Bevölkerung selbstverständlich ist. Es muss doch auch niemand eine Bürgerinitiative gründen, damit sein Grundstück an die Wasser-, Abwasser- oder Stromversorgung angeschlossen oder verkehrstechnisch erschlossen wird. Wenn wir heute sagen, dass Breitband für die gesellschaftliche Teilhabe der Menschen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen immer wichtiger wird, müssen wir auch für die flächendeckende Bereitstellung sorgen. Sicher, es wird bereits viel getan. Aber Beispiele wie Kleinvoigtsberg zeigen, dass es noch nicht genug ist.
Sehr geehrte Frau Bellmann,
die Menschen setzen große Erwartungen in die Breitbandstrategie der Bundesregierung. Es wäre schön, wenn einige der Ideen und Vorstellungen der Betroffenen in diese Strategie einfließen könnten. Deshalb möchte ich Ihnen eine Zusammenarbeit mit der Initiative gegen digitale Spaltung -geteilt.de- ausdrücklich ans Herz legen. Wir stehen sozusagen „im Stoff“. Unsere Erfahrungen sollten Sie nutzen.
Auch ich persönlich bin an einem Dialog mit Ihnen und Ihren Fraktionskolleginnen und -kollegen weiterhin sehr interessiert. Es wäre schön, wenn wir kurzfristig wieder einmal eine Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch hätten.
Grüßen Sie bitte auch Frau Dr. Krogmann und Herrn Baumann von mir.
In der Hoffnung, bald von Ihnen zu hören, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
P.S. Ich veröffentliche meine Schreiben gewöhnlich auf den Internetseiten der Initiative „Breitband fürs Erzgebirge“ und bei -geteilt.de-. So werde ich auch mit Ihrer Antwort verfahren. Wenn Sie dies nicht möchten, werde ich dies selbstverständlich respektieren. Ein kurzer Hinweis reicht.
Gruß