Den Spiegel-Artikel halte ich für oberflächlich und teilweise schlecht recherchiert. Ich möchte im Folgenden nicht die Breitbandstrategie der Bundesregierung beschönigen oder loben, aber jedoch legitime Fragen stellen und bekannte Fakten auf den Tisch bringen.
So fehlt eine Gegenüberstellung von gebuchter und verfügbarer Bandbreite, das heißt wie hoch ist die Penetrationsrate. Wie viele Leute können bspw. VDSL buchen und haben dies auch tatsächlich getan? Wie viele Leute können einen Kabelanschluss nutzen, wie viele tun dies tatsächlich und haben welche Bandbreite gebucht?
Mit der reinen Verfügbarkeit von TV-Kabel bei 60% der Haushalte lässt sich schon ein Großteil der 75% 50 Mbit/s erreichen - im Bericht steht davon kein Wort. Im Artikel heißt es:
Im internationalen Vergleich liegt Deutschland höchstens im Mittelfeld. 90 Prozent der Nutzer bekommen weniger als zehn Megabit pro Sekunde. Also über 40 Mbit/s weniger, als Merkel versprochen hatte.
Bei den 60% der Haushalte, die über einen Kabelanschluss verfügen können, ist es problemlos möglich, mit geringen Investitionen, 100 Mbit/s im Downstream und mehr zu erreichen! Anscheinend ist der Bedarf noch nicht in dem Maße vorhanden, so dass Kunden sich noch deutlich niedrigere Bandbreite schalten lassen oder andere Technologien, wie ADSL2+, wahrscheinlich aus Kostengründen benutzen (1&1, 19,99€).
3. Deutschland steht im weltweiten Vergleich gut da, oder?
Nein. Deutschland steht bei den tatsächlich gemessenen Bandbreiten sogar schlecht da. Die durchschnittliche Geschwindigkeit von sechs Megabit pro Sekunde für alle Internetanschlüsse in Deutschland ist sogar im Vergleich zum Flächenland USA nur Mittelmaß.
Auch hier fehlt wieder der Blick auf die Pentrationsrate, d.h. wie viele Haushalte haben die an ihrem Anschluss maximal mögliche Bandbreite gebucht?
4. Mit dem superschnellen V-DSL wird alles gut?
Es wird kurzfristig vielleicht besser. Aber auf mittlere Sicht ist V-DSL keine Lösung.
Ich halte VDSL und Vectoring in Kombination als ausreichend mindestens bis 2020, damit sind nahezu alle Use cases abgedeckt. Ein nachfrageorientierter Breitbandausbau ist deutlich effizienter als ein blinder Ausbau des technisch maximal möglichen - wenn tatsächlich
Bedarfe für Bandbreiten, die wirklich nur FTTH realisierbar sind, wird es sicher auch einen stärken Ausbau geben. 30% der Investitionen für FTTH können durch einen vorherigen FTTC-Ausbau bereits erbracht werden, damit hat man eine gute Grundlage. Fest steht aber eines: FTTH wird bis 2025 (meine Schätzung) sicherlich nur eine Technologie für Ballungsräume bleiben - für den ländlichen Raum ist das nicht finanzierbar, oder eaber die Bürger beteiligen sich direkt daran. Momentan ist das notwendige Preisniveau dafür aber am Markt nicht durchsetzbar.
Anders sieht es natürlich aus, wenn man den FTTH-Ausbau als nationale Aufgabe, von staatlicher Seite, betrachtet - dafür müssen jedoch auch sehr große Mengen an Mitteln investiert werden.
Wirtschaftsunternehmen können nur einen nachfrageorientierten Breitbandausbau übernehmen - jedoch gibt es selbst mit diesem Modell nicht in allen Gebieten für irgendeinen Netzbetreiber einen positiven Business-Case - dann bedarf es öffentlichen Subventionen, um die Wirtschaftlichkeitslücke zu schließen.
Denn der Konzern darf solche Anschlüsse exklusiv nutzen, muss die neue Technik nicht der Konkurrenz vermieten wie die bisherige DSL-Infrastruktur.
Das ist Quatsch, denn beim Ausbau von Vectoring-Technik muss die Telekom ein Layer-2-Bitstrom-Vorleistungsprodukt am KVz/MFG und an 900 regionalen Technik-Standorten anbieten (siehe
hier, Seite 16). Die HVT-TAL bleibt auch weiterhin nutzbar, lediglich die KVZ-TAL kann nicht mehr separat angemietet werden - dies macht aber auch keinen Sinn, wenn die Telekom dort bereits einen Outdoor-DSLAM/MSAN installiert hat. Ein Layer 2 Bitstrom-Vorleistungsprodukt ist deutlich hochwertiger als das bisher angebotene Layer 3 - Bitstromvorleistungsp., da damit erstmals Quality of Service und Multicast für den Service-Provider möglich ist, so dass bpsw. Vodafone TV über die Telekom-Infrastruktur angeboten werden kann. Die beste Neuigkeit ist aber, dass alle Netzbetreiber verpflichtet sind (nach dem BNetzA-Entwurf der Vectoring-Verordnung) ein Layer 2 BSA (Bitstream-Access) -Produkt anzubieten. In Gebieten, in denen die Telekom keine eigene Technik am Kvz verbaut hat, dürfen natürlich weiterhin KVz-TALs angemietet werden.
Das es bisher wenig Nachfrage nach Glasfaser-Anschlüssen gibt, zeigt Spiegel Online selber, in dieser
Grafik.
Die Deutsche Telekom investiert weniger als die Konkurrenz
Wenn man jedoch den Marktanteil von 40% betracht - sieht man, dass die Telekom im Verhältnis genauso viel wie die Wettbewerber investiert - diese müssen jedoch (bisher) keine Vorleistungsprodukte und ähnliches bereitstellen.
Investitionen lohnen sich umso eher, je mehr Menschen in einer Region wohnen und je mehr Hauptverteiler dort stehen. Dieses Verhältnis visualisiert der Breitband-Investitionsindex: In den Metropolen sieht es gut aus, überall sonst schlecht bis miserabel.
Die Besiedelungsdichte spielt eine große Rolle, jedoch die Hauptverteiler-Dichte gerade für Telekom-Wettbewerber kaum eine. Denn die Wettbewerber setzen meist auf unabhängige eigene Infrastrukturen oder Infrastrukturen von Partnern wie Stadtwerken, Strom- und Gasnetzbetreibern, Telekommunikationslinien an Straßen und Eisenbahnlinien. Diese Infrastrukturen werden jedoch überhaupt nicht durch den Breitband-Investitionsindex abgedeckt, genauso wie der Verrohrungsgrad, d.h. wie viele Leerrohre bereits vorhanden sind. Dass der Breitband-Investitionsindex für die neuen Bundesländer besonders schlecht ist, liegt an mehreren Fakten. Erstens ist natürlich die Bevölkerungsdichte niedrig und zweitens wurde nach der Wende die TK-Infrastruktur bereits mit einer möglichst geringen Hauptverteiler-Dichte geplant. Dagegen gibt es natürlich auch spezielle Faktoren, die den Breitbandausbau in diesen Regionen erleuchtern, wie eine hohen Verrohrungsdichte und auch eine große Dichte von Glasfasernetzen, die dort bereits vorhanden sind und nur der Umnutzung bedürfen. (hier wird es sicher einen Kommentar von Nenunikat geben
)
Die Glasfaserquote ist in sehr vielen Ländern erheblich höher als in Deutschland, am höchsten in Skandinavien und einigen osteuropäischen Staaten.
In den osteuropäischen Staaten wurde natürlich aufgrund des späteren Erstausbaus (von TK-Netzen, die Breitband-Internet möglich machen) gleich auf Glasfaser gesetzt und sicher auch staatlich speziell gefördert, genauso wie in Skandinavien. Wobei dort natürlich auch Glasfaser-Überlandverlegung (an Masten) in Kauf genommen wird - das würde in Deutschland sicherlich wenig Akzeptanz finden.
Ein Fazit kann ich jedoch teilen:
Der Breitbandmarkt in Deutschland ist gespalten. In Städten gibt es Konkurrenz, auf dem Land bestenfalls überhaupt nur ein echtes Breitband-Angebot. Das ist die Folge der Regulierung: Es ist nicht möglich, dass gleichzeitig die Preise sinken und die Anbieter viel Geld in den Breitband-Ausbau auf dem Land stecken, wo die Herausforderungen größer sind als in der Stadt.
Zum Thema Synergien: Aus meiner Sicht werden hier die möglichen Effekte überschätzt - in der Realität sind Kosteneinsparung in vielen Fällen nicht machbar, als Erläuterung würde ich
dieses Video (Achtung, Registrierung notwendig) empfehlen, dort berichtet ein Vertreter der Stadtwerke Neumünster über Erfahrungen aus der Praxis.
Mit den derzeitigen Modellen bleiben Kommunen mit klammen Kassen natürlich immer auf dem Trockenen sitzen (bestes Beispiel ist Bayern mit dem aktuellen Förderprogrammen, das wirklich ländliche Kommunen benachteiligt und eine sehr starke Gewerbeorientierung besitzt) - hier muss es eine Lösung geben, sei es durch anderweitige Subventionen oder mit der Maximallösung Universaldienst - einen FTTH-Universaldienst halte ich jedoch für illusorisch. Die andere Frage bleibt in diesem Zusammenhang natürlich die Bewertung von Satelliten-Internet-Lösungen und Mobilfunk (UMTS/LTE) /WiMax/WLAN-Lösungen für den Universaldienst (stellen diese Angebote bereits die Versorgung sicher).
Einen der abschließenden Sätze des Spiegel-Artikel verstehe ich jedoch nicht:
Die Deutsche Telekom darf ihre Kupferleitungen unreguliert als VDSL2 vermarkten
??? Wenn sie auf den Kvz-TALs VDSL2 nutzt, was soll das denn sonst sein?