Die Lobby-Verbände und die großen Unternehmen haben sich im Prozess der Entwicklung einer Breitbandstrategie bereits zu Wort gemeldet. Dabei wurde deutlich, wo die Interessen liegen. Auch wir haben uns bereits in die Debatte eingebracht. Trotzdem meine ich, die Stimme der Betroffenen muss lauter werden, sonst gehen unsere Interessen unter. Deshalb habe ich mal einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin entworfen. Schreibt bitte eure Meinung. Ich möchte den Brief spätestens am Dienstag öffentlichkeitswirksam absenden, damit er noch vor der Veröffentlichung der Strategie in die Medien kommen kann.
Offener Brief
Breitbandstrategie der Bundesregierung
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,
mit großem Interesse und nicht wenigen Erwartungen verfolgt unsere Initiative gegen digitale Spaltung -geteilt.de- die gegenwärtige Diskussion um die Strategie der Bundesregierung zum weiteren Ausbau der Breitbandinfrastruktur in Deutschland. Besonders begrüßen wir den von Ihnen geäußerten politischen Wille nach „Breitband für alle“. Diesem Ziel fühlen wir als Interessenvertretung Betroffener uns seit Jahren verpflichtet.
Zum Thema melden sich in jüngster Zeit viele Verbände und Unternehmen zu Wort. Leider finden Betroffene nach unserer Erfahrung in diesem Prozess zu wenig Gehör. Wir bedauern dies, da gerade unsere Initiative sich seit langer Zeit mit dem Problem beschäftigt und nicht geringe Erfahrungen einbringen kann. Deshalb möchten wir Ihnen heute einen Dialog anbieten, der die Belange der Betroffenen und nicht Unternehmensinteressen in den Vordergrund stellt. Dies scheint uns auch sehr notwendig, da einige Verlautbarungen vermuten lassen, dass auch weiterhin die Instrumente der Vergangenheit zur Problemlösung dienen sollen. Wenn der VATM gar formuliert, das „Problem der ‚weißen Flecken‘ sei grundsätzlich gelöst“, regt sich in unseren Reihen Widerspruch.
Bereits im November des Vorjahres hatten wir uns mit einem Positionspapier in die beginnende Debatte um das Konjunkturprogramm II eingebracht. Darin stellten wir fest, dass der Aufbau eines leistungsfähigen Breitbandnetzes heute ähnliche Auswirkungen auf wirtschaftliche Prosperität und Wohlstand haben wird, wie es einst Kanal-, Eisenbahn- und Straßenbau hatten. Der Ausbau, Betrieb und selbstverständlich die Nutzung einer leistungsfähigen Breitbandinfrastruktur wird hunderttausende Arbeitsplätze schaffen, wie neuere Studien belegen. Das Internet eröffnet enorme Chancen. Doch diese müssen allen Menschen zur Verfügung stehen.
Deshalb ist es gut und richtig, wenn die Bundesregierung dem Ausbau der Breitbandverbindungen in ländlichen Gebieten hohe Priorität einräumt. Auch das Europäische Parlament hat unlängst festgestellt, dass Breitband zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehört.
Daraus erwachsen dem Staat aus unserer Sicht Verpflichtungen. Der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger muss gesetzlich garantiert werden. Niemand soll erst eine Bürgerinitiative gründen oder sich intensiv mit verschiedenen Technologien auseinandersetzen müssen, nur um in den Genuss eines leistungsfähigen Internetanschlusses zu kommen. Alle Zugangstechnologien müssen sich in Preis und Leistung vergleichen lassen. Einschränkungen bei Nutzungszeit und -volumen lehnen wir ab. Lediglich für eine Übergangsphase kann eine Volumengrenze angezeigt sein, um die mögliche Überbuchung von Netzen zu verringern. Diese Grenze muss aber weit über den heute üblichen Werten liegen. Wir halten zehn Gigabyte pro Monat für das Mindeste, was jedem Internetnutzer an Volumen zur Verfügung stehen muss.
Breitband muss darüber hinaus an allen Orten unseres Landes verfügbar sein, um deren Zukunfstfähigkeit zu gewährleisten. Solange es keine verlässlichen Angaben über die tatsächliche Versorgungssituation gibt, ist dies nicht zu realisieren. Der Breitbandatlas des BMWi beruht auf freiwilligen Angaben der Unternehmen. Es bedarf aber einer rechtlich sicheren Datenerfassung. Die Unternehmen müssen zur Offenlegung ihrer Daten an die Bundesnetzagentur verpflichtet werden.
Aus vorgenannten Gründen fordern wir die Deklaration von Breitband als Universaldienst in der Telekommunikation. Ohne diesen Schritt wird sich der erwähnte Wille nach „Breitband für alle“ nicht durchsetzen. Der Universaldienst soll dabei keineswegs den Wettbewerb ersetzen, er soll vielmehr den Grundversorgungsanspruch der Menschen sicherstellen.
Unser Anliegen ist es nicht, den Fokus auf einzelne Zugangstechnologien zu legen. Wir würden darin auch eine Einschränkung der technischen Weiterentwicklung sehen. Allerdings erweisen sich die vor allem vom VATM angepriesenen Lösungen heute bei näherer Betrachtung als wenig tauglich. Satelliten- und funkbasierte Dienste können die schlimmste Not lindern. Den zukünftigen Anforderungen an Bandbreite und Verfügbarkeit sind sie jedoch nicht gewachsen. Daran wird wohl weder der Einsatz neuer Satelliten, als auch die Verwendung von Frequenzen aus der „digitalen Dividende“ etwas ändern, zumal deren Bereitstellung längst nicht sicher ist. Die Meinungsäußerungen einiger Staatskanzleien lassen darauf schließen, dass die Länder die Frequenzen wohl nicht freiwillig abgeben werden. Jedenfalls werden sie nicht vor der Mitte des nächsten Jahres frei werden. Erst dann können auch erforderliche Endgeräte entwickelt und vertrieben werden. So können flächendeckende Angebote selbst bei optimistischer Schätzung nicht vor dem Ende des Jahres 2010 auf den Markt kommen. Ein Zeitraum, der für Betroffene das Ausmaß der Unendlichkeit annimmt.
Ähnlich problematisch ist der Vorschlag der Deutschen Telekom AG zu werten, unter der Bedingung eingeschränkter Regulierung den Ausbau des VDSL-Netzes voranzutreiben. Von nicht wenigen Experten wird dieses Konzept als überholt angesehen. Insofern besteht unter uns einige Irritation über die von Ihnen ins Gespräch gebrachte Vision, innerhalb von zehn Jahren jedem Bürger eine Bandbreite von 50 Megabit pro Sekunde bereitzustellen. Die Dynamik des technischen Fortschritts lässt es nach unserer Meinung nicht zu, über benötigte Bandbreiten in einem so langen Zeitraum zu spekulieren.
Aus unserer Sicht wirklich visionär und notwendig wäre es, sich konsequent dem Ausbau von Glasfasernetzen bis in die Wohnungen/Betriebe (FTTH) zu widmen. Damit würde man auch dem internationalen Trend folgen. Allerdings kann – das bestreitet niemand – kein Unternehmen dies allein bewerkstelligen. Ebenso wäre der Staat überfordert, wenn er die Investitionen finanzieren wollte. Eine solche Verwendung von Steuergeldern zur Subventionierung eines Marktes, auf dem Jahr für Jahr Milliarden verdient werden, lehnen auch wir entschieden ab.
Wir befürworten vielmehr ein strategisches Konzept, dass es kommunalen oder regional tätigen privaten Unternehmen ermöglicht, sogenannte Open-Access-Netze zu errichten, die dann allen Anbietern diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen. Gerade Stadtwerke sowie Ver- und Entsorgungsunternehmen verfügen oft bereits über Leitungs- und Wegerechte und nicht selten auch über Leerrohr- und andere Leitungstrassen. Der Staat sollte diese Unternehmen unterstützen, indem er mit günstigen Krediten, Bürgschaften und im Einzelfall mit Investitionshilfen fördert. Die Umsetzung des Konzeptes muss stringent staatlich begleitet und kontrolliert werden. Dazu ist es erforderlich, beim Bund, in den Ländern und evtl. auch in den Landkreisen Stabsstellen einzurichten, die beratend und koordinierend wirken. Am konsequentesten wäre es aus unserer Sicht, wenn die Verfügungsgewalt über diese neuen Netze in der Öffentlichkeit läge. Dies würde demokratische Kontrolle gewährleisten und eine aufwändige Regulierung vermeiden. Wir empfehlen, diesen Gesichtspunkt in die Diskussion einzubeziehen.
Im Übrigen könnten wir uns weitere ordnungspolitische Eingriffe des Staates vorstellen. Diesbezüglich verweise ich auf das bereits erwähnte Positionspapier, welches ich anbei übersende.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,
das Thema der Breitbandunterversorgung nicht nur, aber vor allem ländlicher Regionen ist von herausragender Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Es sollte deshalb auch in Zukunft für Sie Chefsache sein. Die betroffenen Menschen setzen große Erwartungen in Sie. Dabei hoffen sie, nicht auf technische Lösungen verwiesen zu werden, die wenig zukunftsfähig sind. Vielmehr muss es um eine grundsätzliche Lösung gehen, die die Komponenten Grundversorgungsanspruch und Investitionssicherheit zu gleichen Teilen berücksichtigt.
Nach meiner Erfahrung sollten an der Lösung solcher grundlegenden Probleme Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Bürger eng zusammenwirken. Wir sind zur Mitarbeit bereit.
Es wäre sehr schön, wenn wir mit unseren Ideen etwas zur Debatte beitragen könnten.
In dem Sinne verbleibe ich in der Hoffnung auf eine Antwort
mit freundlichen Grüßen