STELLUNGNAHME ZUR ZUKUNFT DES UNIVERSALDIENSTES

Positionen, Ziele und Aktionen der Interessenvertretung Initiative gegen digitale Spaltung -geteilt.de- e. V.

STELLUNGNAHME ZUR ZUKUNFT DES UNIVERSALDIENSTES

Beitragvon geteilt.de » 07.05.2010 22:34

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Thema von: bru62
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Im Rahmen einer öffentlichen Konsultation hat die Europäische Kommission Interessengruppen aufgerufen, Stellungnahmen zur Zukunft des Universaldienstes in der Telekommunikation abzugeben. Nach ausführlicher Diskussion entstand folgender Text:

Stellungnahme zum Konsultationsverfahren der Europäischen Union zum Universaldienst in der Telekommunikation.

Die Initiative gegen digitale Spaltung -geteilt.de- besteht seit fünf Jahren und hat heute mehr als 3300 Mitglieder. Sie ist damit eine der großen Breitband-Bürgerinitiativen in Deutschland.

Gern beteiligen wir uns an der Konsultation zum Telekommunikationsuniversaldienst.

Grundbegriff
Der Universaldienst wurde im Zuge der Liberalisierung und Privatisierung des ehemals staatlichen Post- und Telekommunikationssektors eingeführt. Er bringt den staatlich zu gewährleistenden Grundversorgungsanspruch zum Ausdruck. Ziel war und ist es, angemessene und ausreichende Dienstleistungen unabhängig von Marktentwicklungen allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung zu stellen. Das System entspricht in seiner Funktionsweise den aus der Physik bekannten kommunizierenden Röhren, welche durch ihre gemeinsame Verbindung an jeder Stelle des Systems unabhängig von seiner Form oder seinem Durchmesser denselben Flüssigkeitsstand aufweisen. Diese Verbindung war vormals das staatliche Versorgungsmonopol. Mit der Privatisierung dieses Wirtschaftsbereiches übernahm für die reine Telefonie die Universaldienstrichtlinie diese Aufgabe. Man war sich offenbar bereits bei Einführung der Liberalisierung des Telefoniemarktes im Klaren, das sich ein ungeregelter Markt, ohne Verpflichtung zur angemessenen Grundversorgung, sehr schnell aus der Fläche zurückziehen und ausschließlich um die Kunden in den lukrativen Ballungsräumen kümmern würde.

Das Instrument „Universaldienst“ hat sich bewährt. Es stellt bis heute, auch bei zurückgehenden Gewinnerwartungen der Unternehmen, eine grundlegende und bezahlbare Versorgung mit Telefondiensten sicher. Auch wenn dies bis heute durch die Deutsche Telekom AG freiwillig erfolgt, hat vermutlich allein die gesetzliche Vorgabe dafür gesorgt, dass ländliche Regionen nicht längst davon abgeschnitten sind. Der Universaldienst ist deshalb nach wie vor aktuell. Denn der Markt erweist sich nachweislich außer Stande, eine Grundversorgung flächendeckend sicherzustellen. Dass es in all den Jahren im Telefoniemarkt nie ein ernsthaftes Problem mit der Grundversorgung im Telekommunikationssektor gab, ist ausschließlich auf das Vorhandensein dieser Verpflichtung zurückzuführen.

Deshalb sollte am Universaldienst nicht nur unbedingt festgehalten werden, er sollte vielmehr auf heute zur Daseinsvorsorge zählende Breitbandinternetzugänge ausgedehnt werden. Nur so kann unter marktwirtschaftlichen Bedingungen erreicht werden, dass alle Menschen an den Segnungen des technischen Fortschritts partizipieren können. Über die Erweiterung des Begriffs „Universaldienst“ hinaus erscheint es uns wichtig, eine funktionale Trennung von Netz und Diensten durchzusetzen. Es macht volkswirtschaftlich keinen Sinn, mehrere Zugangsnetze zu errichten und zu betreiben. Dies gilt für die Telekommunikation ebenso wie für den Straßenbau, die Versorgung mit Wasser oder Elektroenergie. Nicht zuletzt deshalb ist auch im Rahmen der Liberalisierung solcher Versorgungsinfrastrukturen die Durchleitungsverpflichtung geschaffen worden, welche in der Telekommunikation ihr Pendant im Open Access Modell findet. Wenn Netz-Inhaber auf nachfolgenden Stufen der Wertschöpfung mit anderen Marktteilnehmern konkurrieren und dabei die Preise der Regulierung unterliegen, sinkt die Bereitschaft zur Investition in die Netze. Solche Unternehmen haben nämlich mit der durch die Erstellung der Netzinfrastruktur begründete langfristige Bindungen von erheblichen Finanzmitteln „ein Blei am Fuß“, welches ihnen ungleich schlechtere Marktbedingungen als Ihren Wettbewerbern ohne eigene Netze aufgibt. Dieses Dilemma muss durchbrochen werden.

Breitbanddienste
Die Versorgung mit Breitbandinternetzugängen ist heute gleichbedeutend mit gesellschaftlicher Teilhabe der Menschen und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Ihr kommt eine entscheidende Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung und damit die Zukunftsfähigkeit der Regionen zu. Wie im Mittelalter der Bau von Kanälen, im 19. Jahrhundert der Eisenbahn- und im 20. Jahrhundert der Fernstraßenausbau wird im 21. Jahrhundert der angemessene Zugang zum Internet Grundlage wirtschaftlicher Prosperität sein. Deshalb kann sich eine verantwortliche Politik nicht damit zufrieden geben, dass Millionen Menschen nicht über ausreichenden Zugang zum Internet verfügen. Es ist daher zu begrüßen, dass sich sowohl das Europäische Parlament als auch nationale Regierungen dem Thema in jüngster Zeit verstärkt widmen.

In der Diskussion sind verschiedene Lösungsvarianten, die sich im Prinzip auf zwei Positionen zuspitzen. Soll man in einem dynamischen Umfeld vorrangig auf wettbewerbliche Lösungen setzen oder bedarf es vielmehr einer stärkeren staatlichen Reglementierung? Um es vorweg zu nehmen: Die Initiative gegen digitale Spaltung favorisiert den zweiten Ansatz.

Der Wettbewerb hat für immer höhere Leistung und sinkende Preise gesorgt. Letzteres ist aber ausschließlich der Ausfluss des Verteilungskampfes der Wettbewerber um die Kunden in den lukrativen Ballungsräumen. Die Kunden im ländlichen Raum finden in dieser rein wettbewerbsorientierten Betrachtungsweise keinen Platz, da es hier in der Regel nicht um das Erschließen neuen Kundenpotenzials geht, sondern ausschließlich um eine Umverteilung des bereits vorhandenen.

Seit der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes hat sich die Produktpalette entscheidend verändert. Neue Produkte, mit wesentlich anspruchsvolleren Anforderungen an die Telekommunikationsinfrastruktur sind entstanden und vermarktet worden. Die Technologie hat sich seit der Einführung erster Breitbandangebote vor etwa zehn Jahren ständig dynamisch weiterentwickelt. Heute sind Bandbreiten von 100 Megabit pro Sekunde auch in Deutschland für Privathaushalte verfügbar.

Gleichwohl hat sich in all den Jahren für eine Minderheit nichts verbessert. Nach wie vor sind Millionen Menschen auf Modem- bzw. ISDN-Geschwindigkeiten angewiesen. Der Markt versagt hier. Er ist offenbar nicht in der Lage, eine flächendeckende angemessene Versorgung über neu geschaffene Infrastruktur zu gewährleisten. Statt nachhaltiger Versorgung steht ein schneller Return of Investment (ROI) im Vordergrund. Die Erstellung langfristig zu finanzierender Infrastrukturen und ein schneller ROI schließen sich jedoch gegenseitig aus.

Die Bereitstellung von steuerfinanzierten Zuschüssen für Investitionen im ländlichen Räumen stellt ein deutliches Anerkenntnis des Marktversagens dar. Eine Subventionierung eines mit Unwucht laufenden freien Marktes ohne gleichzeitiges Abschöpfen überproportionaler Einnahmen an anderer Stelle führt zur Erzeugung von Dividenden auf Steuerzahlerkosten. Durch das Zurückziehen aus der nicht lukrativen Fläche und das Vermeiden langfristiger Geldanlagen in eigene Infrastrukturen gehen diese Unternehmen im Sinne der Gewinnmaximierung allen unternehmerischen Risiken aus dem Weg. Der einzige Grund, dass dabei trotzdem noch sinkende Preise zu verzeichnen sind, ist der Verteilungskampf um die lukrativen Ballungszentren. Die übrigen Kunden aus den aufgegebenen Regionen dagegen bleiben unversorgt zurück.

Gesetzliche Auflagen zur Gewährleistung der Grundversorgung regulieren Marktversagen. Sie sorgen dafür, dass tatsächlich allen Menschen angemessene Dienstleistungen angeboten werden und gleichwertige Lebensverhältnisse bestehen. Das Instrument dafür ist der Universaldienst. Deshalb sehen wir darin und in der funktionalen Trennung die Voraussetzung für die Erreichung des Ziels „Breitband für alle“. Alle anderen Politikansätze haben in der Vergangenheit ihre Tauglichkeit für eine nachhaltige Lösung des Problems der Breitbandunterversorgung nicht nachgewiesen. Es ist Zeit für eine Änderung.

Nationale Flexibilität und koordiniertes Vorgehen der EU
Die vorherrschenden Bedingungen in den Mitgliedsländern sind in der Tat sehr unterschiedlich. Wir sehen die Aufgabe der europäischen Politik darin, den Begriff des Universaldienstes auf Breitbandinternetzugänge auszudehnen und die Umsetzung des Ziels „Breitband für alle“ zu einer europaweiten Aufgabe zu erheben. Es ist vorstellbar, dass einheitliche, für alle Mitgliedsstaaten akzeptable, Vorgaben zu Qualität und Quantität des Universaldienstes festgelegt und regelmäßig angepasst werden. Dadurch wird ein Mindeststandard gewährleistet.

Den Mitgliedsstaaten muss allerdings ermöglicht werden, qualitativ und quantitativ darüber hinaus zu gehen. Dadurch wird sichergestellt, dass wirtschaftlich stärkere Länder die Entwicklung voran treiben. Es kommt also darauf an, einheitliche Mindeststandards europaweit zu verankern und gleichzeitig flexibel bessere Bedingungen in den Mitgliedsstaaten zu ermöglichen.

Finanzierung
Bei der Ausgestaltung des Universaldienstes wurde ein Umlageverfahren festgelegt. Einem zur Erbringung des Universaldienstes verpflichteten Unternehmen können die erhöhten Aufwendungen über eine Ausgleichsabgabe aller Marktteilnehmer anteilig erstattet werden. Dieses Verfahren erscheint auch für die Zukunft anwendbar. Der in Artikel 32 der UDR normierte Ausschluss des Umlageverfahrens im Falle einer nationalstaatlichen Erweiterung des Universaldienstes allerdings muss aus Flexibilitätsgründen gestrichen werden.

Solange die Versorgung mit Breitbandinternetzugängen privatwirtschaftlich organisiert ist, ist es auch Aufgabe der Unternehmen, die Finanzierung der flächendeckenden Versorgung zu übernehmen. Schließlich vereinnahmen sie auch die daraus resultierenden Gewinne. Erforderlich ist eine entsprechende Mischkalkulation, die Aufwendungen für eine flächendeckende Versorgung beinhaltet. Es ist durchaus möglich, dass dies zu einem vorübergehenden Anstieg der Preise führt. Aber letztlich beruhen auch die heutigen Preise auf solchen Mischkalkulationen, weil der Aufwand zur Bereitstellung der Zugänge selbst in Großstädten unterschiedlich ist. Der Nutzen, den die Allgemeinheit aus der Versorgung zieht, wird durch die Gebühren beglichen. Ein zusätzlicher Einsatz von öffentlichen Mitteln ist nicht erforderlich. Vielmehr würde dies zu negativen Entwicklungen, wie einer „Mitnahmementalität“ führen.

Anders gelagert ist der Fall, sollte die Versorgung ganz oder teilweise in staatlicher Verantwortung liegen. Wir befürworten ein solches öffentlich (z.B. in kommunaler Verantwortung) errichtetes und betriebenes Zugangsnetz, auf dem Privatanbieter ihre Dienstleistungen anbieten. Hierbei obliegt die Finanzierung der flächendeckenden Versorgung zunächst der öffentlichen Hand. Die Refinanzierung erfolgt über Gebühren und Verbrauchssteuern der Dienstleistungsanbieter. Ein solches Modell würde - konsequent umgesetzt - einen Universaldienst letztlich sogar wieder entbehrlich machen.

Zusammenfassend stellen wir fest, dass es zum Festhalten am Universaldienst und zu seiner Weiterentwicklung unter den gegenwärtigen Bedingungen keine Alternative gibt. Ohne Universaldienst keine flächendeckende Versorgung. Ohne Universaldienst gibt es nur „Breitband für viele“. Wer „Breitband für alle“ will, muss es gesetzlich garantieren.


Weiterführende Links:
Diskussion zum Konsultationsverfahren
Themenseite der EU zum Konsultationsverfahren

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