STELLUNGNAHME KOALITIONSVERTRAG

Positionen, Ziele und Aktionen der Interessenvertretung Initiative gegen digitale Spaltung -geteilt.de- e. V.

STELLUNGNAHME KOALITIONSVERTRAG

Beitragvon geteilt.de » 10.11.2009 01:20

________________________________________________________________________________

Thema von: bru62
________________________________________________________________________________

Der Koalitionsvertrag von CDU und FDP vom Oktober 2009 gibt die Marschrichtung für die nächsten vier Jahre vor. Erstmals ist in ihm eine längere Passage zur Breitbandversorgung enthalten. Nachfolgend wird von der Initiative gegen digitale Spaltung eine Stellungnahme abgegeben:


Stellungnahme der Initiative gegen digitale Spaltung -geteilt.de-
zum Koalitionsvertrag der CDU/CSU und der FDP „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“


Die Initiative begrüßt das bisher in solchen Vereinbarungen nicht gekannte ausdrückliche Bekenntnis zu einer flächendeckenden Breitbandversorgung. Damit wird man dem Stellenwert der Verfügbarkeit über schnelle Internetzugänge als Bestandteil der Daseinsvorsorge gerecht.

In Anbetracht der Details der vereinbarten Maßnahmen und Vorhaben muss jedoch die bereits an der Strategie der Vorgängerregierung geäußerte Kritik erneuert und vertieft werden. Die vorgestellten Maßnahmen sind einmal mehr ein Sammelsurium der Beliebigkeit und bedürfen einer entschiedenen Präzisierung, um zum Erfolg zu führen.

Zunächst ist es in den unterversorgten Gebieten auch nach acht Monaten seit Verkündung der Breitbandstrategie nicht ersichtlich, in welchem Maße gerade Wettbewerb, Regulierung und Kooperation als „maßgebliche Säulen“ eine „zügige Umsetzung“ gewährleisten. Etwas zugespitzt kann man sagen: Wettbewerb kommt meist erst (oft aber selbst dann nicht) zustande, wenn Fördermittel als Anreiz ins Spiel kommen. Geplante Regulierungsschritte kommen nicht voran, weil Unternehmen sich mit allen verfügbaren Mitteln dagegen wehren. Kooperationen wurden bisher nur aus Ballungsräumen bekannt. Sie dienen wohl eher der Aufteilung von Geschäftssphären als einer flächendeckenden Versorgung.

Dem Papier kann entnommen werden, dass die Versorgung des ländlichen Raumes und der Aufbau der Hochleistungsnetze getrennt betrachtet werden. Vor dieser Herangehensweise muss ausdrücklich gewarnt werden. In der Konsequenz bedeutet die Konzentration auf die Bereitstellung von Downloadraten um ein Megabit pro Sekunde im ländlichen Raum und den gleichzeitig forcierten Ausbau von Hochleistungsnetzen mit Downloadraten um fünfzig oder hundert Megabit pro Sekunde in Ballungsräumen letztlich eine Verschärfung der digitalen Spaltung. Liegt der Faktor zwischen den durchschnittlich verfügbaren zwei bis drei Megabit pro Sekunde und einem ISDN-Anschluss bei ungefähr dem 35-fachen, wird er sich dann auf 50 bis 100 erhöhen. Die bestehende Kluft wird nicht verringert, sondern vertieft. Deshalb braucht es heute ein Konzept zur flächendeckenden Einführung von Hochleistungsnetzen, auch außerhalb der Ballungsräume. Davon ist jedoch weder in der Breitbandstrategie noch im Koalitionsvertrag die Rede.

Es sollte selbstverständlich sein, dass nach fast der Hälfte einer in Teilen auf zwanzig Monate angelegten Strategie ein Monitoring zur Umsetzung durchgeführt wird. Dies muss nicht erst in einer Regierungsvereinbarung niedergeschrieben werden. Wenn man denn im Licht des bisher Erreichten „alle Möglichkeiten ausschöpfen“ will, so muss man wohl oder übel auch über eine gesetzlich garantierte Grundversorgung nachdenken. Das aber scheint man nicht im Blick zu haben. Vielmehr hat man vor, investitionsfreundliche Regulierungsinstrumente zu finden. Was man davon beim marktbeherrschenden Unternehmen, der Deutschen Telekom AG hält, wurde im Verlauf des Jahres deutlich: Wenn die Entscheidungen der Bundesnetzagentur nicht in die Firmenphilosophie passen, werden kurzerhand die Investitionen zurück gefahren. Und es findet sich niemand in Regierungsverantwortung, der dazu in der Öffentlichkeit kritische Worte äußert! Zum „nachhaltigen wettbewerblichen Umfeld“ wurde schon viel geschrieben. Außerhalb der Ballungsräume gibt es dieses Umfeld schlicht nicht. Oft meldet sich auf Ausschreibungen der Kommunen kein einziges Unternehmen oder es werden kaum akzeptable Notlösungen angeboten.

Kein Zweifel, die Förderprogramme von Bund und Ländern haben zu einer gewissen Entlastung beigetragen. Unter dem Strich bedeutet diese Politik aber doch, dass Verluste sozialisiert werden, während die anschließend erzielbaren Gewinne privatisiert werden. Eine solche Umverteilung kann man kaum als Wettbewerb bezeichnen, erst recht nicht als nachhaltigen. Der angestrebte „Technologiemix“ berücksichtigt zudem nicht in ausreichendem Maß die erforderlichen Anforderungen an eine moderne Breitbandversorgung. Jede Technik hat seinen Einsatzzweck. Mobilfunktechnologien dienen der Versorgung mit mobilen Internetzugängen. Satellitentechnologien sind angezeigt, um entlegene, außerhalb von Siedlungskernen liegende Örtlichkeiten anzuschließen. Diese technologischen Varianten können allenfalls vorübergehend genutzt werden, um eine temporäre Festnetz-Unterversorgung zu lindern. Eine nachhaltige, längerfristige Versorgung kann mit einem „Technologiemix“ nicht gewährleistet werden. Diese kann letztlich nur auf Glasfaserbasis erfolgen. Das sollte klar formuliert werden.

Die Versteigerung der Frequenzen der digitalen Dividende wird nach Ansicht der Initiative gegen digitale Spaltung nicht zur raschen Versorgung in ländlichen Gebieten führen. Dazu hätten die Auktionsregeln wesentlich durchgreifender formuliert werden müssen. Eine vorgesehene Ausbauverpflichtung von lediglich 90 Prozent der Bevölkerung bis 2016 bietet keine Garantie, dass gerade heute unterversorgte Gebiete dann ausgebaut sein werden, zumal keinerlei Sanktionen für den Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung vorgesehen sind. Außerdem ist der Gesamtzeitraum in Hinblick auf die Dringlichkeit viel zu lang. Nicht zuletzt muss erneut darauf hingewiesen werden, dass Mobilfunklösungen kein Festnetzersatz sind. Mobile Internetzugänge bieten auch zukünftig wesentlich geringere Datenraten, als kabelgebundene. Hinzu kommt eine auf den mobilen Zugang ausgerichtete Netzkapazität, die in der Regel nicht den Anforderungen stationärer Nutzung genügt und daher unter zunehmender Überbuchung leidet, der mit Volumengrenzen und Diensteeinschränkungen begegnet wird. Eine Konzentration auf die Versorgung der ländlichen Räume mit Funk vertieft die digitale Spaltung demzufolge eher, als sie sie auflöst.

Synergien beim Infrastrukturausbau zu nutzen, ist eine seit langem bestehende Forderung der Initiative gegen digitale Spaltung. Es ist in der Tat nicht vermittelbar, wenn beispielsweise Tiefbauarbeiten stattfinden, ohne dass dabei Leerohre für spätere Kabelverlegungen eingebaut werden. Die Einbeziehung der Planung und Errichtung von Telekommunikationsanlagen im Zuge von öffentlichen Infrastrukturausbaumaßnahmen muss gesetzlich festgeschrieben werden. Ob dies mit der Formulierung „neue planungsrechtliche Instrumente“ gemeint ist, wird sich zeigen.

Bestehende Telekommunikationsanlagen müssen in einem Verzeichnis für potenzielle Mitbenutzer ersichtlich sein. Der geplante Infrastruktur-Atlas der Bundesnetzagentur soll dies ermöglichen. Allerdings wird hier auch der Grundmangel des Systems deutlich. Wie alle Maßnahmen zur Verbesserung der Breitbandversorgung basiert auch der Atlas auf freiwillige Mitwirkung der Unternehmen. Diese verfolgen allerdings zunächst ihre eigenen Interessen und erst nachrangig die des Gemeinwesens. Ob und in welchem Umfang sie Informationen bereit stellen, obliegt keiner verbindlichen Regelung. Nicht von ungefähr hat das Land Baden-Württemberg einen Antrag in den Bundesrat eingebracht, der dem beschriebenen Problem abhelfen soll. Die Initiative gegen digitale Spaltung begrüßt dies als Schritt in die richtige Richtung.

Dass ein auf europäischer Ebene beschlossener Rechtsrahmen rasch in nationales Recht umgesetzt wird, sollte selbstverständlich sein und bedarf auch keiner besonderen Erwähnung im Koalitionsvertrag. Das gilt auch für die fortlaufende Prüfung. Allerdings könnte die Bundesregierung durchaus aktiv werden, in dem sie sich für eine baldige Änderung der Universaldienstrichtlinie mit dem Ziel der Einbeziehung von Breitbandinternetanschlüssen in den Regelungsinhalt der Richtlinie einsetzt. Davon allerdings ist in der Regierungsvereinbarung nichts zu lesen.

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die im Koalitionsvertrag formulierten Pläne nicht der Dringlichkeit des Problems gerecht werden. Deutschland verliert im internationalen Maßstab an Boden. Für die Ausgestaltung des Wirtschaftsstandortes und der Wissensgesellschaft ist dies das falsche Signal. Es kommt heute darauf an, konsequent die nötigen Schritte zu gehen. Ein Festhalten im Wesentlichen an marktbasierten Instrumenten hat sich als wenig zielführend erwiesen.

Notwendig ist es vielmehr, verbindliche Regelungen zu treffen und neue Wege zu beschreiten. Die Universaldienstverpflichtung ist die Grundlage für eine flächendeckende Versorgung. Nur durch diese gesetzliche Regelung wird letztlich die tatsächliche Unterversorgung ermittelt werden können. Darauf aufbauend kann kurzfristig und technologieneutral eine bundesweite definierte Grundversorgung sichergestellt werden, die dann regelmäßig den wachsenden Ansprüchen anzupassen ist. Verzichten wir heute auf diese verbindliche Verpflichtung, schieben wir das Problem und die damit verbundenen Diskussionen dauerhaft vor uns her.

Hochleistungsnetze müssen nicht losgelöst von der Grundversorgung, sondern im Zusammenhang damit errichtet werden. Das Modell der Zukunft sind nicht proprietäre Lösungen einzelner Unternehmen oder Unternehmensverbünde, die anschließend dauerhaft reguliert werden müssen, sondern „Open-Access“-Varianten. Die Infrastruktur wird damit diskriminierungsfrei und dienstneutral angeboten. Errichter und Betreiber der neuen Netze sollen bevorzugt Unternehmen der öffentlichen Hand sein. Sie sind in der Lage, Investitionen über lange Zeiträume abzuschreiben. Außerdem sind sie zuerst dem Gemeinwohl verpflichtet und nicht den Interessen von Aktionären untergeordnet. Dies scheint eine Garantie für den flächendeckenden Ausbau zu sein, während ansonsten die Vernachlässigung wirtschaftlich weniger interessanter Gebiete auch in Zukunft droht.

Nach Auffassung der Initiative gegen digitale Spaltung muss die Bundesregierung ihre Strategie zur Breitbandversorgung dringend überarbeiten, um die selbst gesetzten Ziel zu erreichen. Die Formulierungen im Koalitionsvertrag sind leider nicht die richtige Grundlage dafür. Deshalb wird die Initiative zusammen mit allen interessierten Kreisen weiter das Ziel einer gesetzlichen Grundversorgung als Basis einer flächendeckenden Verfügbarkeit verfolgen.

„Breitband für alle“ darf man nicht nur wollen, man muss es garantieren!



Links:
Koalitionsvertrag als Download
Diskussion zum Vertrag
Diskussion zur Stellungnahme

Stellungnahme als PDF zum Download
Benutzeravatar
geteilt.de
Mitstreiter
Mitstreiter
 
Beiträge: 215
Registriert: 26.10.2005 05:13
Wohnort: geteilt.de

Zurück zu Geteilt

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste

cron